Neunaugen, deren Entwicklung rund 400 bis 500
Millionen Jahren zurückreicht, gehören zur ältesten, noch lebenden
Wirbeltierklasse der Erdgeschichte. Streng genommen zählen sie nicht zu den
„Fischen“, sondern zu den so genannten Rundmäulern. Aufgrund von Schutzmaßnahmen
haben sich die Neunaugenbestände in unseren heimischen Gewässern in den
vergangenen Jahren allmählich erholt. Mit der Wahl zum Fisch des Jahres soll
aber auch darauf hingewiesen werden, dass weitere Anstrengungen unternommen
werden müssen, um den Fortbestand der einzelnen Arten zu sichern.
In Deutschland gibt es vier Neunaugenarten: Bach- und Flussneunauge,
Ukrainisches Neunauge sowie das Meerneunauge. Statt des gewöhnlichen Fischmauls
mit Ober- und Unterkiefer haben alle Arten einen kreisförmigen, innen bezahnten
Saugmund auf der unteren Seite des Kopfes. Der Körper ist aalförmig und hat
keine Schuppen. Die deutsche Bezeichnung Neunauge ist sehr alt und entstand
durch ungenaue Beobachtung Die eigentlichen Augen, die nur einfach vorhandene
Nasenöffnung und die sieben, seitlich gelegenen Kiemenöffnungen erwecken bei
flüchtigem Betrachten den Eindruck, das Tier hätte neun Augen auf jeder
Körperseite.
Alle Neunaugen laichen im Süßwasser ab und kommen dort zur Welt. Während die
Bachneunaugen das ganze Leben im Süßwasser verbringen, handelt es sich beim
Fluss- und Meerneunauge um Wanderarten. Direkt nach der Umwandlung zum
erwachsenen Tier wandern sie ab in die Brackwasserregionen oder ins Meer. Dort
ernähren sie sich parasitisch, indem sie sich an Fischen festsaugen und mit
ihrem Zungenkopf die Haut aufraspeln. Dabei nehmen sie Blut und Gewebeteile auf.
Z. T. bohren sie sich sogar bis in die Körperhöhle des Opfers vor. Im Gegensatz
dazu nehmen Bachneunaugen im erwachsenen Zustand keine Nahrung mehr zu sich und
werden somit auch nicht als Fischschädlinge auffällig. Mit dem Erreichen der
Geschlechtsreife erlischt bei allen Arten die Nahrungsaufnahme.
Zur Fortpflanzung steigen Fluss- und Meerneunaugen oft mehrere hundert Kilometer
in die Flüsse zu ihren Laichgebieten auf (sog. Lang-Distanz Wanderer). Im
Frühling bilden sich Laichgesellschaften, die unter aktiven Paarungsspielen
Laichgruben ausheben, indem sie mit Hilfe des Saugmaules Steine aufsammeln und
entfernen. Nach dem Laichakt sterben die Neunaugen an Entkräftung.
Die geschlüpften blinden Larven, Querder genannt, vergraben sich im Sand oder
Schlamm. Der Kopf bleibt frei und filtert feine Nahrungspartikel wie
Kleinlebewesen oder Pflanzenteilchen aus dem Wasser. Das Larvenstadium ist die
längste Phase im Leben der Neunaugen. Es dauert mindestens fünf Jahre.
Anschließend vollziehen die Tiere einen erstaunlichen Gestaltwandel vom Larven-
zum Erwachsenenstadium.
Im 19. Jahrhundert waren Neunaugen in unseren heimischen Gewässern noch sehr
häufig und weit verbreitet. Sie wurden durch die Fischerei genutzt und waren als
Nahrungsmittel des Menschen bis ins 20. Jahrhundert beliebt. Durch Verschmutzung
und Verbau der Gewässer sind sie stark zurückgegangen. Wo durch Regulierungen
keine sandigen Sedimentbänke mehr vorkommen, oder durch Aufstau kiesige
Laichplätze verloren gegangen sind und Sandbänke von Schlamm überdeckt werden,
verschwinden auch die Neunaugen. Hindernisse wie Querverbauungen können sie
nicht überwinden und auch so manche Fischaufstiegshilfen nicht passieren.